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„Wer aus beruflichen Gründen weit pendelt, kann mit negativen Folgen
für Familie, Partnerschaft und das eigene Wohlbefinden rechnen.“
Sonnenmoser, 2008, S. 120
Die eine sitzt mal wieder im Stau fest, der andere wartet aufgrund eines Streiks vor geschlossenen Gates oder wartet vergeblich auf die pünktliche Bahn. Pendeln verbinden viele Menschen mit Stress. Ein Alltagsstress, den nicht wenige Berufstätige in Deutschland jeden Tag von neuem begegnen müssen. Nach einer Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung pendeln etwa 60% aller ArbeitnehmerInnen in Deutschland in eine andere Stadt, mit seit Jahren leicht steigender Tendenz. Deutschlandweit traten somit 2017 knapp 18,4 Mio. Menschen jeden Tag den Weg in eine andere Stadt an, um dort ihrer Arbeit nachzugehen. Dabei weisen verschiedene Studien auf die möglichen, negativen Effekte des täglichen Pendelns hin.
Der im März dieses Jahres vom Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) vorgestellte Bericht belegt nun auch statistisch, dass sich Pendeln auch auf die Fehlzeiten aufgrund psychischer Erkrankungen niederschlägt. Während bei Nicht-Pendlern etwa 11 Arbeitsunfähigkeitstage pro 100 Personen auftreten, kommt es bei Personen mit einer Wegstrecke von mindestens 50 km zu etwa einem Fall mehr. Gleichzeitig liegt bei Pendlern auch die durchschnittliche Ausfallzeit aufgrund psychischer Erkrankungen um einen halben Tag höher. Die Unterschiede lassen sich in diesem Zusammenhang besonders auf die Diagnose „Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen“ zurückführen.Hierunter fallen Aspekte wie Ängste, Sorgen oder auch depressive Verstimmungen.
Die amerikanischen Forscher Gary Evans, Richard E. Wener und Donald Philipps konnten durch die Testung des Cortisolspiegels feststellen, dass Pendler signifikant gestresster im Büro erschienen als Kollegen, die morgens keine lange Wegstrecke zurücklegen mussten. Aus Sicht der Wissenschaftler liegt dies maßgeblich an der Unsicherheit, die mit dem Weg zur Arbeit verbunden ist. Mögliche Staus, Verspätungen, Wetterverhältnisse, andere Verkehrsteilnehmer und auch die Reaktion des Chefs auf ein mögliches verspätetes Erscheinen am Arbeitsplatz. Je höher der wahrgenommene Unsicherheitsfaktor bei der Anfahrt zur Arbeit war, desto stärker fühlten sich die Teilnehmer gestresst. Neben vermehrten psychischen Beschwerden führt der erhöhte Stress auch zu einer erhöhten Müdigkeit, Konzentrationsmängeln, einer verringerten Produktivität und anderen psychosomatischen Beschwerden bei Pendlern, wie Kopf- oder Rückenschmerzen. Darüber hinaus stellte eine Forschergruppe um Daniel Kahnemann 2004 fest, dass Pendeln nicht nur ungesund ist, sondern auch unglücklich macht. Die hängt auch damit zusammen, dass lange Fahrt- und Wartezeiten die verfügbaren zeitlichen Kapazitäten für andere Aktivitäten reduzieren und so indirekt auch Ressourcen reduzieren können. Ob sich negative gesundheitliche Folgen einstellen, hängt nach verschiedenen Studienbefunden aber auch davon ab, ob das tägliche pendeln freiwillig erfolgt oder als Zwang empfunden wird.
Die WIdO-Ergebnisse zeigen neben den negativen Folgen jedoch auch eine Möglichkeit zur Vermeidung der psychischen Belastungen durch das Pendeln. So nehmen die Fehltage aufgrund psychischer Erkrankungen in Folge einer Verkürzung des Arbeitswegs durch einen Wohnortwechsel ab. Für Arbeitgeber bieten sich in diesem Zusammenhang Möglichkeiten zur Förderung der Mitarbeitergesundheit durch die Unterstützung bei der Wohnungssuche oder durch Kooperationen mit Organisationen aus der Wohnungswirtschaft. Es bleibt jedoch auch die Frage, welche Möglichkeiten für alle jene der über 18 Millionen Pendler bleiben, für die ein Wohnortwechsel nicht möglich oder unerwünscht ist.
Zum einen lassen sich bei dieser Frage verschiedene Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung nennen. So können Gleitzeitregelungen oder Home-Office-Angebote helfen Stress zu reduzieren und gleichzeitig einen besseren Ausgleich zwischen den Lebensbereichen zu ermöglichen, da die häufig ungenutzten Zeiten auf den Wegen von oder zur Arbeit reduziert werden können. Die bereits in vielen Bereichen steigende Selbstbestimmung und Flexibilisierung der Tätigkeiten im Hinblick auf Arbeitszeit und –ort bietet somit in diesem Zusammenhang Ansatzpunkte, jedoch bestehen durch die wachsende Flexibilisierung auch Risiken für die Gesundheit und das Wohlbefinden der Berufstätigen, in Folge von Entgrenzung der Arbeit oder Überforderung.
Eine zweite Möglichkeit stellt der Aufbau von persönlichen Ressourcen im Umgang mit Zeitdruck und Stress dar. Negative Denkmuster durchbrechen, personale Stresskompetenzen stärken oder auch ein gesundheitsförderlicher Umgang als Führungskraft mit der Thematik können hierbei hilfreich sein. Auf der individuellen Ebene kann eine als sinnvoll wahrgenommene Nutzung der Warte- und Fahrtzeiten, bspw. durch Lesen, Arbeiten oder Lernen, dazu beitragen, die Belastungen und das Stressempfinden zu reduzieren wie Häfner, Kächele und Zipfel herausfanden.
Optimale Ergebnisse kann jedoch immer nur die Kombination verschiedener Ansätze auf organisationaler, individueller und kultureller Ebene bringen.
Die Hazelnut Consulting unterstützt Sie in diesem Themenfeld bspw. in den Bereichen Personal- & Führungskräfteentwicklung sowie Gesundheitsmanagement und trägt somit dazu bei, Mitarbeiter langfristig an die Organisation zu binden. So helfen wir als Experten für Kommunikation und Interaktion zum Beispiel Führungskräften in den Bereichen Gesprächsführung und Mitarbeitermotivation.
Literatur:
Evans, G. W., Wener,R. E. & Phillips, D. (2002). The Morning Rush Hour. Predictability and Commuter Stress. Environment and Behavior, 34(4), 521-530.
Häfner S., Kächele, H. & Zipfel, S. (2007). Immer auf Achse – der gesundheitliche Preis der Mobilität in einer 24-h-Gesellschaft. Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie, 57(8), 307–308.
Sonnenmoser, M. (2008). Berufliche Mobilität: Vielfältige Belastungen. Ärzteblatt, 3, 120-121.
Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO). Fernpendeln belastet die Psyche. 26.03.2018